Es beginnt oft ganz harmlos.
„Wie geht’s dir?“ – „Gut… aber…“
Und schon rollen wir den roten Teppich für all das aus, was uns gerade nicht gefällt: die Arbeit, die Kinder, der Partner, das Wetter, die Politik.
Das „aber“ ist wie eine kleine Ritze, durch die das Licht entweichen kann.
Dieser kleine Zusatz verändert alles. Plötzlich richtet sich der Blick weg vom Guten – hin zu dem, was drückt, zwickt oder nervt.
Und manchmal, ganz ehrlich: Ist das Leben gerade schwer.
Manchmal stehen wir mitten in einer Lebenskrise. Wir kämpfen mit gesundheitlichen Problemen, familiären Belastungen, beruflichem Druck oder dem Verlust eines geliebten Menschen. In solchen Zeiten ist es nur allzu menschlich, zu klagen, zu stöhnen, zu weinen – ja, auch zu jammern.
Es ist ein Ventil, eine Entlastung, ein stiller Ruf nach „Ich werde gesehen“.
Warum tun wir das?
Jammern kann wie ein warmer Mantel sein, den wir uns umlegen, wenn der Sturm des Lebens uns hart trifft. Er gibt uns kurzfristig Trost, schafft Verbindung zu anderen, die unser Leid hören und bestätigen.
Doch dieser Mantel hält uns auch fest, wo wir gerade sind. Er verändert nicht die Situation – er verändert nur, wie wir sie erzählen.
Oft steckt dahinter eine zutiefst menschliche Sehnsucht nach Anerkennung:
„Seht ihr, wie viel ich aushalte?“
„Merkt ihr, wie schwer es gerade ist?“
Anerkennung dafür, dass wir so viel leisten. Dass wir „trotz allem“ weitermachen. Dass wir stark sind.
Und ja – wir alle möchten gesehen werden, vor allem in schwierigen Phasen. Doch wenn wir im Erzählen vom Leid verharren, ohne einen Schritt weiterzugehen, drehen wir uns im Kreis.
Manchmal jammern und klagen wir, weil wir gelernt haben, dass es sicherer ist, uns im „Jammertal“ zu verkriechen, als das Glück offen zu zeigen.
Weil wir Angst haben:
- Angst, dass andere uns beneiden oder zurückweisen, wenn es uns zu gut geht.
- Schuld, weil wir glauben, wir hätten das Glück gar nicht verdient.
- Scham, weil wir denken, unser Leben „müsste“ eigentlich anders aussehen.
Die Spirale des Jammerns
Jammern ist wie ein Sumpf.
Je länger wir darin stehen, desto schwerer wird es, wieder herauszukommen.
Jeder negative Gedanke zieht den nächsten an – bis wir irgendwann den Blick für das Schöne verlieren.
Das ist kein Versagen, sondern ein ganz natürlicher Mechanismus unseres Gehirns:
Es ist darauf programmiert, Gefahren und Probleme schneller wahrzunehmen als das, was gut läuft. Früher sicherte uns das das Überleben. Heute raubt es uns oft die Freude.
Und je länger wir im „Jammertal“ bleiben, desto schwerer fällt der Ausstieg.
Der entscheidende Wendepunkt: Akzeptanz
Veränderung beginnt selten in der Empörung – sie beginnt in der Akzeptanz.
Akzeptanz heißt nicht, alles gutzuheißen oder kleinzureden. Sie heißt: Ich erkenne an, dass die Situation gerade so ist, wie sie ist.
Dieser Moment der Klarheit schafft Raum. Raum, um zu atmen. Raum, um zu überlegen: Was kann ich jetzt – trotz allem – beeinflussen?
Solange wir uns innerlich wehren, solange wir kämpfen gegen das, was schon geschehen ist, bleibt unsere Energie gebunden. Erst wenn wir aufhören, uns am Widerstand festzukrallen, wird sie frei für den nächsten Schritt.
Achtsamkeit als Schlüssel
Achtsamkeit bedeutet, präsent zu sein – auch und gerade in schwierigen Zeiten.
Den Autopiloten abzuschalten und innezuhalten, ist der erste Schritt. Nicht wegzusehen, nicht zu verdrängen, sondern das Hier und Jetzt bewusst wahrzunehmen: die Schwere und den Schmerz ebenso wie die kleinen Lichtblicke, die vielleicht trotzdem da sind.
Achtsamkeit bedeutet, bewusst wahrzunehmen, was jetzt – in diesem Moment – ist.
Ohne gleich zu bewerten. Ohne sofort zu vergleichen.
Wenn wir beginnen, den kleinen Momenten Raum zu geben – das Lachen eines Kindes, den Duft von Kaffee am Morgen, den warmen Sonnenstrahl auf der Haut – verändert sich etwas in uns.
Diese Momente sind kein „billiger Trost“ – sie sind der Boden, auf dem wir wieder Kraft schöpfen.
Mit jedem Mal, das wir das Gute bewusst sehen, bilden wir neue Verbindungen im Gehirn. Wir trainieren, uns nicht länger von Sorgen oder Frust treiben zu lassen. Wir spüren wieder, wie sich Wohlbefinden anfühlt.
Und Wohlbefinden wächst – wenn wir es nähren.
Verstrickungen erkennen und lösen
Das erfordert Mut. Mut, die eigenen Muster zu hinterfragen:
- Wann und bei wem fange ich an zu jammern?
- Was erwarte ich insgeheim als Reaktion?
- Welche Geschichten erzähle ich mir selbst – immer wieder?
Diese Fragen sind keine Anklage. Sie sind ein Schlüssel.
Denn sobald wir unsere Verstrickungen sehen, können wir sie lösen. Wir können beginnen, bewusst anders zu antworten, anders zu denken, anders zu fühlen.
Die Entscheidung
Am Ende ist es eine Wahl:
Bleibe ich im Jammertal sitzen – oder gehe ich den ersten Schritt hinaus ins Licht?
Es wird nicht jeder Tag perfekt sein. Aber jeder Tag bietet Momente, die es wert sind, gesehen zu werden.
Und vielleicht ist genau jetzt ein guter Zeitpunkt, sich zu fragen:
Worüber würde ich heute sprechen, wenn ich das „aber“ einmal weglasse?
Was könnte ich heute tun, wenn ich das „aber“ einmal weglasse – und den Blick bewusst auf das Gute richte?